Abu Dhabi gönnt sich eine ganze Kulturinsel namens Saadiyat. Direkt an der Küste des persischen Golfs gelegen ist das Museum in der gleissenden Hitze dieses arabischen Landes von tiefblauem Wasser umgeben. Das helle Gelb der nahen Wüstenabschnitte kontrastiert hervorragend mit dem Blau des Meeres und dem Weiss-Silber des Museums.
Irgendwann in naher Zukunft werden auf der Insel in unmittelbarer Nachbarschaft ein Guggenheim-Museum und ein National-Museum hinzukommen. Aber das spielt alles keine Rolle, wenn man hier und jetzt im seit November 2017 eröffneten Louvre Abu Dhabi zur Entspannung auf einer der Treppen sitzt, an denen sich unten die Wellen brechen, während man diesen einmaligen Augenblick genießt. Der französische Architekt Jean Nouvel hat ein Meisterwerk geschaffen, das seinem Anspruch, Moderne und Lokalkolorit zu verbinden, mehr als gerecht wird.
Unter einem silbernen Kuppeldach mit 180 Metern Spannweite verteilen sich 50 weiße Boxen, die untereinander als Ausstellungsräume verbunden sind und in Aufbau und Atmosphäre eine arabischen Medina stilisieren. Die kühle Sachlichkeit des Gebäudes ist innen wie aussen pure Ästhetik und ein echter Kontrapunkt zur flimmernden Hitze Arabiens. Wie es in einem guten Museum sein soll, stellt der Minimalismus des Gebäudes die Exponate in den Mittelpunkt. Schon jetzt ist klar, dass Jean Nouvel den zukünftigen Vergleich mit den benachbarten Museumsgebäuden von Norman Foster und Frank Gehry nicht zu scheuen braucht.
Prestigeträchtige Blockbuster
Dieses Museum bietet eine ganz besondere Weltreise durch die Menschheitsgeschichte. Beginnend ca. 3000 v. Chr. erstreckt sich die Sammlung bis in die Moderne des 21. Jahrhunderts. Natürlich dürfen auch die Werke renommierter Künstler nicht fehlen – Pablo Picasso, Paul Gauguin, Edouard Manet, Rene Magritte, Vincent van Gogh, Leonardo da Vinci, Piet Mondrian, Yves Klein, um nur einige zu nennen. Aber ganz unabhängig von diesen prestigeträchtigen Blockbustern (manche erworben, manche Leihgaben) ist es vielmehr das Gesamtkonzept, womit dieses Museum punktet und von allem abweicht, was Museen traditionell bieten. Ab dem ersten von 12 Ausstellungsbereichen dominiert der globale historische Kunst-Vergleich und genau das macht die Spannung und Balance aus.
Vergleichendes Prinzip
Wie hat man das Thema „Mutter mit Kind“ einige Jahrhundert vor Christus in verschiedenen ethischen Kulturkreisen auf drei verschiedenen Kontinenten dargestellt, ohne dass es irgendeine Verbindung oder Form des Erfahrungsaustausches gab – so verschieden und doch wieder so gleich. Und genau das überrascht ein ums andere Mal. Oder die „Stehende Frau II“ von Alberto Giacometti, die in ihrer Darstellung so einzigartig erscheint, bis man unmittelbar daneben eine Frauenstatue aus Papua Neuguinea sieht, deren Grundidee gar nicht so weit entfernt ist. Fast zeitgleich und parallel entstanden, in einer ganz anderen Welt auf der anderen Seite des Globus. Dieses vergleichende Prinzip – konsequent verfolgt über die gesamte Menschheitsgeschichte und untermalt durch eine mediale Erklärung zu Beginn jedes Themenblocks und jeder Epoche – macht einen großen Teil der Faszination aus. Wohltuend auch die ebenso konsequente Umsetzung von „Weniger ist mehr“. Genau die richtigen Exponate zur richtigen Kunstepoche in richtiger Anzahl – nicht zu wenig, nicht zu viel. Da fällt es leicht, ja es macht sogar neugierig, mehr über uns Menschen zu lernen und vieles völlig neu zu verstehen.
Treffpunkt der Kulturen
Das besondere Flair des Museums entsteht auch durch die interkulturelle Mischung der Besucher. Ein Schmelztiegel der Länder dieser Erde an einem besonderen Ort, verbunden durch ihre Neugier und ihre Liebe zum Schönen. Europäer, Inder, Japaner, Chinesen, Südamerikaner und natürlich Araber – Frauen wie Männer in schwarzen und weißen Gewändern. Gemeinsam schlendert man durch die Räume und erkennt, wie parallel sich der Mensch, die ersten Ansiedlungen, die grossen Imperien, die Religionen, die Handelswege und die Kunst entwickelt haben. Da muss eigentlich jedem klar werden, dass es doch viel mehr gibt, was uns Menschen verbindet als das uns trennt.
Staunen wie ein Kind
Auf der einen Seite steht da der „Louvre“ als Inbegriff der Tradition und Konvention im historischen Zentrum der Alten Welt. Und andererseits „Abu Dhabi“ als Symbol des Aufbruchs in die Moderne und der unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten schlechthin. Aber das ist nur ein scheinbarer Widerspruch, denn das Louvre Abu Dhabi zeigt, dass diese Fusion sinnvoll, ästhetisch und absolut bereichernd möglich ist und damit genau das bzw. den erreicht, den ein Museum doch im Fokus hat, den Menschen, den Besucher. Und dieser Mensch, egal woher er stammt auf dieser Welt, steht einfach nur da und freut sich und geniesst und fühlt sich wohl und staunt. Wie ein Kind.
Der Gastbeitrag wurde in etwas abgeänderter Form des Originals vom Portal Weltreisetraum übernommen und von den Machern Joachim Materna und Ellen Kuhn freundlicherweise zur Verfügung gestellt.