Verantwortung beginnt mit dem Stellen der Weiche

Die Debatte um die Reform einer gemeinsamen europäischen Agrarpolitik ist in vollem Gang. Bis 2013 werden diesmal vor allem die Menschen zu ihren Wünschen und Vorstellungen befragt worden sein, die täglich im Agrarsektor tätig sind. Es geht um die Herausforderungen eines nachhaltigen Wachstums, der die ländliche Entwicklung fördert und sie nicht vernichtet, der sich aber auch am Gemeinwohl orientiert – Menschen, Tieren und der Natur dient.

agrarpolitik
Josef Jacobi (von links) ist ständig im Gespräch mit Entscheidern. Hier mit Thomas Dosch, Präsident des Anbauverbandes Bioland, Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) auf der Grünen Woche in Berlin Foto: Upländer Bauernmolkerei

„Das Verhältnis von Fläche, Tier und Mensch muss stimmen“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzender der Upländer Bauernmolkerei im sauerländischen Usseln, Josef Jacobi, seit jeher. Wenn zu wenig Menschen mit den Tieren innerhalb der landwirtschaftlichen Nutzung zu tun haben oder zu viele Tiere auf einer begrenzten Fläche leben, kann das nicht gut gehen. Jacobi ist deshalb froh über die aktuelle Diskussion. Es sei grundsätzlich gut, dass jetzt Meinungen aus der Praxis Einzug in die Agrarpolitik bekommen, bekräftigt ebenfalls die Geschäftsführerin der Upländer Bauernmolkerei, Karin Artzt-Steinbrink.

Auch Margret Zimmermann von der Hofgemeinschaft Gummersort begrüßt, dass die Diskussion und die Aktion „Bauer hält Hof“ den Verantwortlichen in Brüssel nunmehr einen Spiegel vorhalten. „Ich erhoffe mir, dass die Nachhaltigkeit mehr in das Bewusstsein rückt“, erklärt sie. Als Anhängerin des Weltagrarberichts, der 2008 zahlreiche Lösungswege aus Irrwegen in der globalen Landwirtschaft aufzeigte, sei ihr bewusst, dass das Ernährungsproblem weltweit nur zu lösen sei, wenn Produkte authentisch sind. „Die Ideale um den Klimaschutz und das Thema Nachhaltigkeit sind nur zu erzielen, wenn wir alle Prozesse auf die ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte ausrichten“, betont sie.

Werteorientierte Diskussion

Thomas Gerbracht vom Betrieb Heikes Moorhof in Friedeburg plädiert deshalb für eine politische und werteorientierte Diskussion, die von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen sein sollte und auch Antworten auf die Fragen nach der Bezahlbarkeit der Produkte bereithält. „Wir stehen voll hinter dem Anliegen, Landwirtschaft wieder mehr zu regionalisieren, da es unsinnig ist, Joghurt von München nach Oldenburg zu transportieren. Gleichzeitig sehen wir es als verwerflich an, durch subventionierte Exporte zu verhindern, dass sich in Afrika und anderswo eine gesunde Landwirtschaft entwickeln kann, die ihre Bevölkerung ernährt. Vor diesem Hintergrund unterstützen wir die Aktion „Meine Landwirtschaft – Unsere Wahl“, genauso wie die Aktivitäten des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter e.V., beispielsweise „Die faire Milch“, erklärt er.

Grundsätzlich ist auch Sonja Moor, die das Convivium Barnim Oderland seit Mai 2010 gemeinsam mit Ulrich Rosenbaum leitet, mit der Entwicklung hin zum offenen Dialog nicht unzufrieden. Dennoch umtreiben sie viele Gedanken, die sie wütend machen. „Die europäische Agrarpolitik hat versagt. Es geht doch nur noch um Stückzahlen und Rationalisierungen“, sagt sie. Wachsen um jeden Preis sei das Ziel, weil viel Geld im Spiel sei und sich sündhaft teure Anlagen rechnen müssen. Deshalb oute auch sie sich gern als Anhängerin des Weltagrarberichts und plädiere dafür, die Kirche im Dorf zu lassen. „Wir sollten dort anbauen, produzieren und veredeln, wo Landwirtschaft und Lebensmittel gebraucht werden. Es macht keinen Sinn, Produktionskapazitäten in Deutschland zuzulassen und dann den Export in Schwellenländer als das rettende Moment zu sehen“, erklärt sie immer auch mit dem Blick auf ihr funktionierendes Modelldorf Hirschfelde.

Aufschrei der Konservativen

Bei aller Euphorie über den neuen Weg des Austauschs zwischen Politik und Handelnden schwingt deshalb bei vielen stets auch ein wenig Skepsis mit. „Wir begrüßen die eingeschlagene Richtung, etwa im Hinblick auf eine Deckelung von Zuschüssen oder der Abhängigkeit einer Förderung von der gesellschaftlichen Leistung. Aber wir sind auch ernüchtert darüber, dass die Diskussion aufgeweicht wird, weil man schon jetzt bereits den Aufschrei der Konservativen spüren kann“, sagt auch Karin Artzt-Steinbrink. Dabei ist sie generell positiv eingestellt und spürt bei vielen Menschen zudem eine Sehnsucht nach kleineren Strukturen, wie sie etwa auch in der Upländer Bauernmolkerei vorhanden sind. Sie glaubt an die Chance für Initiativen, mit denen sich die Menschen vor Ort auch in einem hohen Maß identifizieren können. „Grundsätzlich halte ich die europäische Agrarpolitik für gut. Es gibt aber auch Defizite, die viele Menschen irritieren“, sagt sie. Aus der Erfahrung mit der Bauernmolkerei heraus könne sie nur Mut machen: „Es ist bereits ein Schritt nach vorn getan, wenn Dinge, die einst nur von kleinen Gruppen gesagt wurden, jetzt schon von den großen Gruppen aufgegriffen werden“.

Margret Zimmermann erhofft sich indes vor allem einen Bewusstseinswandel der Konsumenten. „Solange die Industrie einen so starken Einfluss hat und so gut vernetzt ist, habe ich wenig Hoffnung, dass wir Strukturen verändern können. Deshalb geht es nur über die Macht der Verbraucher, die auch bereit sein müssen, mehr Geld für ihre Lebensmittel auszugeben“, sagt sie. Denn auch auf ihrem 57 Hektar großen Hof könne sie ihre Direktvermarktung nur betreiben, weil sie eine zahlungsfreudige Kundschaft habe. „Wir brauchen ein höheres Bewusstsein für gute Lebensmittel, wie es in anderen europäischen Ländern vorhanden ist“, betont sie. Dann könnten Produzenten auch eine solidarische Landwirtschaft betreiben und authentisch sein.

Volkswirtschaftlich vernünftige Agrarpolitik

Der Gründer und Vorsitzender der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall, Rudolf Bühler, würde deshalb gern alle Kräfte bündeln und sich täglich „mit friedlichem Widerstand gegen Agrarindustrie und Chemiemultis als auch den ausbeuterischen Geschäftsmodellen des internationalen Großkapitals wehren“, wie er betont. Seine bäuerliche Erzeugergemeinschaft ist eine Selbsthilfeorganisation, die für ländliche Regionalentwicklung, Biodiversität, Ökologisierung der Landwirtschaft und solidarisches Wirtschaften sowie für einen gerechten Anteil der Erzeuger an der Lebensmittel-Wertschöpfungskette steht. Aus seiner Erfahrung heraus würde er auch die europäische Agrarpolitik gern dahingehend ausrichten. „Wir sollten makroökonomische Rahmenbedingungen schaffen unter denen sich volkswirtschaftliche Modelle für nachhaltiges Wirtschaften und Ressourceneffizienz unter Bewahrung der natürlichen Schöpfung und Lebensgrundlagen entwickeln und etablieren können. Was in diesem Sinne volkswirtschaftlich vernünftig ist, muss sich dann auch betriebswirtschaftlich rechnen lassen“, erklärt Bühler.

Hans-Hinrich Huss von der einzigen deutschen Eichelmasthaltung von Schweinen in Unterfranken hat Bedenken, dass die europäische Agrarpolitik bis ins letzte Detail durchdacht wird. „Warum hilft man beispielsweise den Landwirten nicht, Fläche aufzubauen?“, fragt er. Für ihn ist die Politik nicht konsequent genug, fördere vielmehr nur Maschinen und weniger die Tierhaltung. „Wir können die Probleme nur lösen, wenn wir die Grundhaltung ändern“, sagt auch Sonja Moor. Beginnen könnten wir ihrer Meinung nach damit, indem wir uns als gentechnikfreies Europa definieren. Generell gebe es genügend Ansätze, eine nachhaltige Agrarpolitik einzuschlagen.

Roman Denis vom Bioland Gemüsebau Denis in Saarlouis hat dafür konkrete Vorschläge: „Für Grundprodukte wie Getreide, Milch, Fleisch oder Kartoffeln sollten Mindestpreise eingeführt werden, die jährlich von einer unabhängigen Expertenkommission festgelegt werden. Außerdem plädiere ich für Mindestlöhne im gesamten landwirtschaftlichen Bereich“, erklärt er. Eine fortschrittliche Agrarpolitik betreibt für Roman Denis zudem einen radikalen Subventionsabbau und knüpft Subventionen nur noch an die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die Einhaltung klar überprüfbarer hoher Qualitäts- und Umweltstandards. Nicht zuletzt schlägt er vor, das Fach Ernährung in zeitlich begrenztem Umfang an den Schulen einzuführen.

erschienen im Slow Food Magazin

Eine Station meiner Genussreise für das Slow Food Magazin

Im Vorfeld des diesjährigen Spezialitätenfestivals Nordhessen geschmackvoll! in Melsungen, produziere ich gerade eine Genussreise für das Slow Food Magazin. Dafür spreche ich auch mit den Erzeugern der Lebensmittel, die in dieser Region hergestellt werden und recherchiere, wie die an Slow Food Kriterien orientierte Lebensmittelwirtschaft im Norden Hessens funktioniert.

Slow Food Magazin
Hohe Fleisch-Qualität: Im Fulda-Werra-Bergland wachsen die Kühe noch artgerecht auf Foto: Silke Liebig-Braunholz

Eine Station bisher war der landwirtschaftliche Betrieb auf dem Gut Friedrichsbrück in Hessisch Lichtenau. Vom Frühjahr bis in den Spätherbst grasen hier Limousin-Rinder auf riesigen Weiden und wachsen innerhalb ihrer Familie auf. Die aus dem französischen Zentralmassiv bei Limoges stammende Rasse ist seit den 70er Jahren in Deutschland beheimatet und fühlt sich unter anderem im Fulda-Werra-Bergland wohl. Die Region ist für den 753,6 Meter Hohen Meißner bekannt und liegt zwischen den Flüssen Fulda und Werra.

Hier werden die reinrassigen Rinder auf dem Gut Friedrichsbrück ausschließlich von Weidegras, Silage (ein durch Gärung konserviertes hochwertiges Grünfutter) und Heu ernährt. Schon deshalb sind sie ein Garant für eine hochwertige Fleischqualität und beliebt bei vielen Köchen. Sie schätzen vor allem den ausgeprägten Geschmack und das ausgewogene Fleisch-Fettverhältnis bei diesem Fleisch.

Mehr zur Genussreise für das Slow Food Magazin und einige kulinarische Geheimtipps (wie etwa diesen) gibt es in der Ausgabe 5-12.

Genuss ist nicht immer selbstverständlich

Rund um die diesjährige Slow Food Messe kommt der Dokumentarfilm „Gekaufte Wahrheit“ über Gentechnik in der Nahrung in die Kinos. Das brisante Thema ist längst Realität: Zwei führende Molekularbiologen in Schottland und Kalifornien veröffentlichten kritische Ergebnisse ihrer Forschung zu gentechnisch veränderter Nahrung (GM‐Food).

Sie verloren ihre Arbeit und wurden darüber hinaus persönlich ruiniert durch Streichung der Forschungsmittel und Zerstörung ihres wissenschaftlichen Rufs. Der Film erzählt aber auch die Geschichte ihres persönlichen Mutes und ihres Verantwortungsgefühls der Öffentlichkeit gegenüber, die bereits jahrelang GM‐Food konsumiert.

Zahlreiche Organisationen, unter anderem auch Slow Food, haben diesen Film gefördert. Slow Food steht nicht nur für Genuss und guten Geschmack, sondern zunehmend auch für eine verantwortungsvolle Ernährung im globalen Kontext. Auch auf der Slow Food Messe wird die Vereinigung dem erhöhten Informationsbedarf der Verbraucher gerecht und klärt über die Qualität, Produktion und Herkunft von Lebensmitteln auf.

Alternativen zur Lebensmittelverschwendung

Beim Fachbesuchertag am kommenden Donnerstag, den 14. April, werden beispielsweise Fakten und Alternativen zur Lebensmittelverschwendung in Gastronomie und Einzelhandel aufgezeigt. Oft ist es schiere Unkenntnis, die ein wertvolles Nahrungsmittel zum Küchenabfall macht. Derartige Wissenslücken können in einer Gesprächsrunde geschlossen werden, in der sich Wissenschaft und Küche begegnen. Zudem wird das Thema Etikettenwirrwarr und -schwindel thematisiert. „Die Bio-Regale in den Discountern werden immer größer, doch entpuppt sich manches Produkt bei genauerem Hinsehen als dreiste Mogelpackung“, so die Veranstalter.

Die Slow Food Messe findet vom 14. bis 17. April 2011 in der Messe Stuttgart statt. Der Film „Gekaufte Wahrheit“ ist im April und Mai in mehreren deutschen Städten im Kino zu sehen.